Kriminologische Kontrolltheorie

Kriminologische Kontrolltheorien (auch Bindungs- oder Halttheorien genannt) unterscheiden sich von anderen Kriminalitätstheorien dadurch, dass sie deren Ausgangsfrage umkehren. Es geht hierbei nicht um die Frage nach den Ursachen abweichenden und strafbaren Verhaltens. Kontrolltheoretiker gehen von der Annahme aus, dass kriminelles Verhalten der ursprünglichen Natur des Menschen entspricht, und untersuchen, weshalb sich die meisten Menschen gleichwohl sozial konform verhalten. Ihre Erklärung liegt in der Ausprägung innerer und äußerer Kontrolle eines Menschen beziehungsweise seiner Bindungen an die Gesellschaft oder im Vermögen eines Individuums zur Selbstkontrolle. Im Umkehrschluss lässt sich durch (Selbst-)Kontroll- oder Bindungsdefizite das Auftreten von Kriminalität erklären; eine weitere Annahme für konformes Verhalten wird im weitgehend ausgeglichenen Verhältnis von Kontrollmacht und Kontrollunterworfenheit einer Person gesehen.

Alle kriminologischen Kontrolltheorien wurden von Forschern aus den Vereinigten Staaten entworfen. Frühe Halttheorien von Albert J. Reiss (1951), Francis Ivan Nye (1958) und Walter C. Reckless (1961) haben in der Lehrbuch-Kriminologie nur noch historische Bedeutung. Reiss und Nye stellten kriminalitätshemmenden inneren Halt in den Mittelpunkt ihrer Ansätze, Reckless fügte dem inneren Halt das Element des äußeren Halts hinzu. Die Bindungstheorie von Travis Hirschi (1969) ist nach wie vor die einflussreichste Kontrolltheorie. Darin werden vier Arten von Bindung an die Gesellschaft genannt, die normenkonformes Verhalten garantieren. 1990 publizierte Hirschi gemeinsam mit Michael R. Gottfredson eine Selbstkontrolltheorie, die nach Meinung ihrer Verfasser jedwede Kriminalität und ihre Vermeidung erklärte. Diese Theorie fand große Beachtung, konnte aber den Anspruch, eine Allgemeine Kriminalitätstheorie zu sein, nicht erfüllen. Eine neue und untypische Perspektive bot 1995 Charles R. Tittle mit seiner Theorie der Kontrollbalance. Darin geht es um die Auswirkungen unterschiedlich verteilter Möglichkeiten der Kontrolle über andere sowie dem Maß des Ausgesetztseins der Kontrolle anderer. Nur eine Balance dieser Elemente verspricht aus Sicht der Theorie konformes Verhalten. Dieser Ansatz erfüllt eher die Ansprüche an eine allgemeine Theorie der Kriminalität als der von Gottfredson und Hirschi.


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